Prag

Kafka hat sich vor allem während des Studiums sowie in den ersten Jahren seiner Beamtenzeit voll ins Prager Kulturleben gestürzt. Er besuchte die verschiedensten Kulturveranstaltungen gern in Gesellschaft von Freunden oder in Begleitung seiner jüngsten und liebsten Schwester. Diese Kulturbesuche ließen nach, nachdem seine engen Freunde geheiratet hatten.

Nach Ausbruch der Krankheit ist Kafka nur noch selten ausgegangen, und das nur, wenn es sich um Veranstaltungen von besonderer Bedeutung handelte. Wie nur wenige deutschsprachige Prager Schriftsteller (Max Brod ausgenommen) besuchte er regelmäßig auch tschechische Theatervorstellungen oder Vorträge. Man kann ihn also als einen Vermittler zwischen den beiden Kulturen des Landes betrachten, die in jener Zeit immer noch durch eine vom aggressiven Nationalismus beider Seiten errichtete Mauer getrennt waren.
Zum Tschechentum, der tschechischen Kultur und Sprache hatte Kafka eine höchst intime, stellenweise geradezu bewundernde Beziehung. Das war keine distanzierte Beziehung, kein traditionsverhaftetes Interesse an tschechischer Geschichte oder Liebe zum Böhmerland als Erbe des einstigen Landes-Patriotismus. Kafka lebte in enger Tuchfühlung mit dem tschechischen Alltag. Die tschechische Sprache beherrschte er vor allem passiv, er bewunderte ihre Musikalität und Bedeutungsnuancen. Er psychologisierte und etymologisierte sogar manchmal gewagt über tschechische Ausdrücke. Mit Vergnügen las er tschechische Autoren im Original, ein damals aufkommendes Talent (Vladislav Vančura) hat er noch vor der tschechischen Literaturkritik frühzeitig erkannt. Dabei bezog er, wenn es sein musste, auch gegenüber allgemein anerkannten Werken der tschechischen Kultur einen kritischen Standpunkt. Anderseits setzte er sich aber auch für ihre größere Anerkennung ein (z.B. im Fall des Bildhauers František Bílek), wobei er auf seinen Freund Max Brod als Vermittler setzte.

Theater

Jizchak Löwy
© Archiv Klaus Wagenbach, Berlín
Kafka besuchte die Vorstellungen im Neuen deutschen Theater (heute Staatsoper) und im Landestheater (Ständetheater), vor allem, wenn namhafte Schauspieler aus Deutschland oder Wien wie Pallenberg oder Moissi gastierten. Gelegentlich ging er auch, obwohl das den politischen Usancen zuwiderlief, ins tschechische Nationaltheater, vor allem, wenn ein tschechisches (Vrchlický) oder anderes slawisches (Vojnovič) Schauspiel gegeben wurde. Auf eigene Weise ließ er sich zweimal vom schlichten, volkstümlichen Theater galizisch-chassidischer Schauspieler aus Lemberg mitreißen, die im Altstädter Kaffeehaus Savoy auf dem Ziegenplatz auftraten. Bei deren zweiter Tournee hat er wohl zwanzig Vorstellungen beigewohnt und mit Jizchak Löwy, dem führenden Akteur der Truppe, Freundschaft geschlossen. In seinen Tagebüchern hat er dieser Truppe und ihren Aufführungen viele Seiten gewidmet.

Musik

In seinen jungen Jahren war Kafka vom Ballett in der Präsentation des russischen Theaters MCHAT aus Moskau fasziniert. Opern oder Operetten besuchte er weniger häufig, Konzerte nur ausnahmsweise, meist auf Initiative von Max Brod. In der Musik fühlte er sich nicht heimisch, der Grund ist wohl in seiner angeblichen Unmusikalität zu suchen. Mit besonderer Vorliebe ging er – einer zeitbedingten Mode gemäß – ins Varieté im Palast Lucerna, das damals im frühen zweiten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts seinen Betrieb aufnahm, Auftritte von Varietékünstlern inspirierten ihn zu Aufzeichnungen eigener Beobachtungen in seinen Tagebüchern.

Bildende Kunst

Kafka zeigte ein beträchtliches Interesse an der bildenden Kunst. Einige Zeit nach seinem Studienabschluss, als ihm die Aussichten auf einen Juristenberuf nicht gerade verlockend erschienen, zog er sogar die Möglichkeit in Betracht, sich professionell mit Kunst zu befassen. Mit Interesse verfolgte er das Schaffen verschiedener zeitgenössischer Künstler sowohl aus dem deutschen als auch tschechischen Lager, einigen ist er dabei näher gekommen. Energisch ist er gegen eine vorbereitete Illustrierung seiner Verwandlung eingeschritten, da diese seinen Vorstellungen zuwiderlief.

Vorträge und Lesungen

Kafka war ein emsiger Besucher von Literaturvorträgen und öffentlichen Lesungen von in Prag weilenden Schriftstellern. Er selbst liebte es, aus eigenen und fremden Werken vorzulesen und tat dies im Familien – und Freundeskreis, aber auch für die Öffentlichkeit. Die vier Freunde des „Prager Kreises“ pflegten in der Wohnung eines der Teilnehmer (meistens bei Baum) einander aus eigenen und fremden, häufig noch unvollendeten Manuskripten vorzulesen. Zuhörer von Kafkas Vortrag haben Aussagen über seine hervorragende, unnachahmliche stimmliche Arbeit mit dem Text hinterlassen. Allem Anschein nach hat Kafka auch seine eigenwillige Interpunktion den Bedürfnissen seiner markanten rhythmischen Textgliederung untergeordnet. Nicht minder suggestiv hat Kafkas im jüdischen Rathaus gehaltener Vortrag über Jiddisch als Sprache auf seine Zuhörer gewirkt. Sein hohes Stil- und Vortragsvermögen sollte gleich zu Antritt seiner Beamtenlaufbahn zur Geltung kommen, als er mit Abfassung und Vortrag der Begrüßungsadresse zum Amtsantritt des neuen Direktors Dr. Marschner betraut wurde.

Kino

In Kafkas Jugend war das Kino eine bedeutende Entdeckung. Er wurde zu einem begeisterten Anhänger dieser Erfindung, die Belehrung und Unterhaltung versprach. Kafka besuchte gerne die Prager Lichtspielhäuser. Ihn faszinierten die Technik des „Theaters lebender Fotografien“ mit ihren ungeahnten Möglichkeiten, aber auch die – damals noch stummen – Leistungen der Leinwandstars.

Zeitungen und Zeitschriften

Kafka las regelmäßig das Prager Tagblatt, die von der Familie abonnierte deutschliberale Wochenschrift, die ihm über persönliche Verbindungen (Felix Weltsch, Hugo Bergmann) nahestehende Jüdische Selbstwehr und die Frankfurter Neue Rundschau. Von den tschechischen Zeitschriften las er in Zeiten seines Briefwechsels mit Milena Jesenská die unlängst gegründete Tribuna, überraschenderweise aber auch gern das puristische Philologenblatt Naše řeč oder sogar in der Zeitschrift der tschechischen Pfadfinderbewegung Náš skautík. Zeitschriftenlektüre hat Kafka nicht sonderlich inspiriert, nur hin und wieder hat ihn ein Artikel zu einem Brief- oder Tagebuchvermerk veranlasst.

Kaffeehäuser

© Archiv Klaus Wagenbach, Berlín
Zu Kafkas Zeiten stellten die Kaffeehäuser einen Ort breitangelegter Kommunikation dar. Allein im Prager Zentrum, in der Alt- und Neustadt, gab es einige Dutzend, und die meisten hatten eine recht stabile, nach sozialer Schichtung differenzierte Besucherschaft. Insbesondere den Deutschpragern, einer nicht sonderlich großen, von einem anderssprachigen Ethnikum umgebenen Enklave, boten die Kaffeehäuser Gelegenheit zu Treffs und geselligem Beisammensein. Sowohl auf tschechischer als auch deutscher Seite gab es damals Literatencafés, die heute Legende sind, z.B. das Café Arco (Ecke Hyberner- und Pflastergasse) oder das Café Union (Ferdinandstrasse, heute Národní třída), in denen sich bedeutende Vertreter der Prager Kunst- und Literaturszene ihr Stelldichein gaben. Als Vermittler und Kontaktstifter zwischen beiden Gruppen traten nicht selten die allein schon durch die sichere Beherrschung beider Landessprachen dazu prädestinierten Juden auf. Kaffeehäuser waren Treffpunkte, Kontaktstellen, Orte für Inspiration, Unterhaltung und Entspannung, Lesesäle oder Debattierklubs, Arbeitszimmer oder Verhandlungssäle. Dort lagen ganze Stöße in- und ausländischer Zeitungen aus, die so mancher der legendären Oberkellnern seinen Stammgästen unfehlbar gleich bei Betreten des Cafés vorzulegen pflegte. In solch einem Literatencafé konnte man bei einer einzigen Tasse Kaffee den ganzen Nachmittag zubringen, und wenn das Geld nicht zu mehr reichte, servierte der Kellner nachsichtig ein Glas Wasser nach dem anderen. Franz Kafka fiel laut Zeugnis seiner Zeitgenossen am Kaffeehaustisch durch seine Unauffälligkeit auf – sowie durch seine Kunst, aufmerksam und still zuzuhören.

Bücher

Von Franz Kafka kann man nicht behaupten, er sei ein leidenschaftlicher Leser gewesen, wie sich das eigentlich für einen Literaturprofi gehört. Er war eher ein höchst wählerischer Leser und lebte in ganz persönlichem Kontakt mit der Welt der Bücher. Seine eigene Bibliothek war nicht sonderlich umfangreich, in ihrer erhaltenen Gestalt umfasst sie knapp 300 Bände. Allerdings sind die meisten davon sorgfältig gelesen worden und haben ihre Spuren in Tagebüchern und Briefen hinterlassen. Das sind einzigartige Beobachtungen und kritische Verweise auf starke oder schwache Stellen von Autoren und Werken, oftmals winzige, aber stets zutreffende Details. Aus Kafkas Kommentaren treten deutlich Autoren hervor, die er wegen ihrer geistesverwandten literarischen Größe liebte, wie Flaubert, Kleist oder Dostojewski, oder wegen ihrer inneren Verwandtschaft mit dem eigenen Schicksal hochhielt, wie etwa Kierkegaard oder Grillparzer. Gleich dahinter kam eine Reihe von Autoren, die er schätzte und achtete: Goethe, Hebbel, Strindberg, Dickens…Dann ließe sich noch eine Vielzahl von Autoren nennen, die er ungeachtet der ihnen damals entgegengebrachten Anerkennung nicht sonderlich hoch bewertete.

Politische Ereignisse

Es trifft nicht zu, dass sich Franz Kafka nicht für das öffentliche Geschehen oder politische Ereignisse interessiert hätte. In den autobiographischen Teilen seines Werks findet man zahlreiche Bemerkungen dazu eingestreut, sowohl aus Friedenszeiten als auch aus dem I. Weltkrieg. Daran, sowie an manchen seiner Tätigkeiten (Einstellung zum Militärdienst im Krieg, Kriegsanleihen) kann man Merkmale eines österreichischen Patriotismus ablesen; ebenso lassen sich in der Nachkriegszeit Loyalitätsbekundungen an die Adresse des jungen tschechoslowakischen Staats finden.