Gymnasium

In den Jahren 1893-1901 besuchte Franz Kafka das Altstädter Staatliche Gymnasium mit Unterrichtssprache Deutsch und Sitz im rückwärtigen Trakt des Goltz-Kinský-Palais auf dem Altstädter Ring. Zwanzig Jahre später (1912-1918) hatte Kafkas Vater im Vordergebäude desselben Palasts sein Geschäft, genauer gesagt, schon seinen Großhandel. Der Unterricht an den Gymnasien der Monarchie wurde in streng humanistischem Geist geführt und bereitete die Gymnasiasten weniger auf eine praktische Laufbahn, als auf das Hochschulstudium in humanistischen Disziplinen vor.orů.

Von der ersten (Prima) bis zur achten Klasse (Oktava) wurde Latein unterrichtet (in den unteren Klassen acht Wochenstunden), ab der dritten Klasse (Tertia) Griechisch. Moderne Sprachen wurden am Gymnasium nicht unterrichtet; auf diese (Französisch, Englisch, Spanisch und Italienisch) war die Unterweisung an der unweiten deutschen Handelsakademie abgestimmt. Der Unterrichtssprache Deutsch wurden auf der Unterstufe vier, auf den höheren Stufen nur drei Wochenstunden gewidmet. In den philologischen Fächern wurde starker Nachdruck auf Memorierarbeit gelegt. Tschechisch wurde nur auf der unteren Gymnasialstufe unterrichtet und war nur Wahlpflichtfach für Schüler, die es von Haus nicht hinlänglich beherrschten. Das Altstädter Gymnasium hatte unter den Prager Gymnasien den Ruf einer besonders strengen Anstalt.
In den drei Unterklassen studierte Kafka mit Auszeichnung, später waren seine schulischen Leistungen schwächer: der Unterricht wurde ihm gleichgültig, seine Interessen und innere Welt einerseits sowie Unterrichtsinhalt und -geist andererseits drifteten immer weiter auseinander. Größte Schwierigkeiten bereitete ihm die Mathematik, die besten Ergebnisse erzielte er in Erdkunde, mit den philologischen Fächern kam er problemlos zurecht. Uninteressiert nahm er an den Religionsstunden teil (in der Regel waren 3/4 der Schülerschaft Juden, 1/4 Katholiken), in denen biblische Geschichte und die Geschichte des Volkes Israel durchgenommen sowie Abschnitte aus dem Alten Testament und Talmud gelesen wurden. Eine gewisse Zeit lang fesselten ihn unter dem Einfluss des suggestiven, positivistisch und atheistisch orientierten Lehrers (in Österreich wurden die Oberschullehrer „Professor“ tituliert, in Tschechien ist das bis heute so) Adolf Gottwald die naturwissenschaftlichen Fächer, insbesondere Darwins Evolutionstheorie, Sympathie empfand er auch für seinen Klassenlehrer Emil Gschwind, einen Priester aus dem Piaristenorden, der ihn in Latein, Griechisch und philosophischer Propädeutik unterrichtete, die gleichfalls Kafkas Interesse weckten. Mit seinem Mitschüler Hugo Bergmann, dem Klassenprimus, der Kafka in Mathematik über Wasser hielt, polemisierte er damals über den deistischen Gottesbeweis.
Hinter den Noten, die der Gymnasiast Kafka in Deutsch erbrachte, dürfte man wohl vergeblich den künftigen berühmten Schriftsteller ahnen. Von der Prima bis zur Oktava wechseln auf den Zeugnissen die zweite und dritte Bewertungsstufe ab („gut“ und „befriedigend“); auch auf dem Reifezeugnis steht nur eine Drei. Aus den vorgegebenen Themen für Redeübungen wählte er in der Septima das Thema „Heliand und Messias“, einen Vergleich des altsächsischen Epos mit einer Dichtung von Friedrich Gottlieb Klopstock, einem Dichter, von dem es hieß, er werde „von jedermann gerühmt, aber von niemandem gelesen“. Aus Kafkas Wahl kann man kaum auf ein persönliches Interesse für das Thema schließen. Das ist aber ohne Zweifel bei dem in der Oktava gewählten Thema „Wie ist der Schluss von Goethes Tasso zu verstehen?“ denkbar.
Mangelndes Selbstvertrauen, unbegründete Angst vor der Schule und die damit zusammenhängende Entfremdung vom Unterricht nahmen auf dem Gymnasium noch zu. Kafka erwartet von der Schule keinerlei Hilfe für sein Leben. Im Brief an den Vater sieht Kafka die Ursache für diesen Zustand überspitzt in des Vaters alles erdrückenden Autorität.