Sanatorien und Auslandsreisen

Während seiner ersten Jahre als Angestellter, als seine engsten Freunde noch unverheiratet waren, unternahm Kafka alleine oder gemeinsam mit Max Brod mehrere Urlaubsreisen ins Ausland. Detaillierte Berichte darüber sind in ihren parallel geführten Reisetagebüchern enthalten. Aus ihrer freundschaftlichen Rivalität entstanden gleichzeitige Schilderungen ihrer Erfahrungen und Reiserouten.
Ihre erste Reise führte sie im September 1909 für zehn Tage ins norditalienische Riva am Gardasee. Die beiden Freunde machten sich gleichzeitig Notizen von einer Flugschau im unweit gelegenen Brescia, die im gleichen Jahr in der Presse veröffentlicht wurden.
Im Oktober 1910 reisten sie gemeinsam nach Paris. Die Reise musste jedoch abgebrochen werden, da Kafka an einer Furunkulose erkrankte und gezwungen war, nach Prag zurückzukehren. Brod machte sich ausführliche Notizen und verfasste später darüber drei Zeitungsartikel, während Kafka über die Reise lediglich einige Gedanken auf der Innenseite seines Tagebucheinbands notierte. Ende 1901 besuchte Kafka Berlin als Ausgleich für den verkürzten Parisaufenthalt.
Ihre dritte Reise führte Kafka und Brod Ende August/Anfang September 1911 auf eine 18-tägige Tour von Lugano über Mailand nach Paris. Kafka verlängerte seinen Urlaub mit einem Sanatoriumsaufenthalt in Erlenbach nahe Zürich. Von dieser Reise kehrten die beiden Freunde mit einer literarischen Trophäe in Form parallel verfasster Tagebücher zurück, wobei Brods Aufzeichnungen wie üblich gründlicher ausgearbeitet waren. Kafkas Berichte sind kürzer und rückblickend verfasst. Auf ihrer Reise hatten Kafka und Brod die Idee, einen gemeinsamen Reiseroman über zwei Freunde zu schreiben. Dieser Plan scheiterte jedoch, auch wenn ein erstes Kapitel mit dem Titel „Richard und Samuel – Eine kurze Reise durch die Länder Mitteleuropas“ im Jahr 1920 veröffentlich wurde.
Ende Juni/Anfang Juli 1912 gingen Kafka und Brod zum vierten Mal gemeinsam auf Reisen und verbrachten eine Woche in Weimar. Wieder machten sie sich parallel Notizen in ihren Tagebüchern. Kafka verlängerte seinen Urlaub und verbrachte drei Tage im Jungborn Sanatorium im Harz.
In seiner Jugend träumte Kafka davon, Prag zu verlassen und weit weg zu fliehen. Gegen Ende seines Lebens spielte er mit der unrealistischen Idee ins Gelobte Land, nach Palästina, auszuwandern. Berlin, das er als „Gegenmittel zu Prag“ betrachtete, sollte ein Zwischenhalt auf dieser Reise sein. Wie sich herausstellte, war Berlin die Stadt, in der er zwei schwere Fehlschläge erleben musste. Einmal bei seinem gescheiterten Versuch, seine Berliner Verlobte Felice Bauer zu heiraten, und einige Monate vor seinem Tod, als seine Krankheit bereits in ihre Endphase ging und er in Berlin unter großer materieller Not litt.

Erlenbach – 1911

© Archiv Klaus Wagenbach, Berlín
Fellenbergs Sanatorium im Erlenbach bei Zürich war ebenfalls eine Naturheilanstalt. Die Patienten wohnten dort in luftigen Holzhäuschen, im Hauptgebäude standen ihnen eine Lesehalle und ein luxuriöser Speisesaal zur Verfügung. Im Garten vor dem Gebäude wurde morgens zu den Klängen eines Flügelhorns geturnt. Gymnastik war neben Wasserheilverfahren und Freiluftaufenthalten der wichtigste Behandlungsteil. Kafka notierte hier 1911 Beobachtungen über Leute, denen er hier im Sanatorium begegnete; z.B. dass ihn eine Schweizer Dame für einen Studenten gehalten hatte.

Jungborn – 1912

Den Besuch von Rudolf Justs Sanatorium in Jungborn 1912 am Fuß des Harzes, einer „Musteranstalt für reines Naturleben“, schilderte Kafka in Tagebüchern und Briefen eingehender und farbiger als die vorigen Sanatoriumsaufenthalte. Die von Adolf Just gegründete, zu jener Zeit von dessen Sohn Rudolf geleitete Anstalt bestand aus Verwaltungs- und Wohngebäuden, Gesellschaftsräumen und Speisesälen, doch ihr Herzstück war der „Freiluftpark“, dessen Herren- und Damenabteilung durch einen Zaun voneinander abgeschirmt waren. In beiden Teilen standen schlichte Holzhütten, im freien Raum des Parks vergnügten und erholten sich die Patienten im Adamskostüm und im Sinne des Mottos „Zurück zur Natur“. Die Heilmethode bestand in Bewegung entblößter Körper an frischer Luft, Wasserkuren (Wasser wurde von Bediensteten herbeigebracht), Lehmpackungen und vegetarischer Kost. Kafka war dort sehr glücklich und nahm wieder Kontakt mit einer menschlichen Gemeinschaft auf. In seinem Tagebuch teilt er seine Beobachtungen und kuriosen Erlebnisse mit. Er verzeichnet das Tagesprogramm von der Morgenwäsche und Frühgymnastik nach der Methode des Dänen Müller, Ballspiele, gemeinsamen Gesang, abendliche Vorträge, körperliche Arbeit der Patienten (Heuwenden und -aufladen), nächtliches Tummeln nackter Gestalten, Spaziergänge und Ausflüge in die Umgebung, Vergnügungen und Bräuche der Einwohner. Dabei erfährt der Leser, dass Kafka hier nackt Modell gestanden hat und in einem nahen Städtchen zum Tanzen war.

Riva – 1913

Im September 1913, nachdem die erste Krise in der Beziehung zu Felice Bauer eingetreten war, fuhr Franz Kafka mit dem Versicherungsdirektor Dr. Marschner nach Wien zum Kongress über Rettungswesen und Unfallverhütung. Dabei besuchte er auch den gleichzeitig in Wien stattfindenden Zionistenkongress. Wie er es sich in den Vorjahren zur Gewohnheit gemacht hatte, verlängerte er auch diese Auslandsreise um eine einwöchige Tour durch Norditalien, auf die schließlich drei Wochen in Riva folgten, wo er schon vier Jahre zuvor zehn Tage mit den Brüdern Brod verbracht hatte. Kafka quartierte sich hier im Sanatorium von Dr. Hartung ein. Diesmal widmete er in seinen Briefen seiner Umgebung – er befand sich in internationaler Gesellschaft – geringe Aufmerksamkeit, vertraute sich hingegen den Freunden mit trüben Gedanken an, die mit seiner Krise in der Beziehung zu Felice einhergingen. Und doch erlebte Kafka in Riva eine vertrauliche Annäherung an die „Schweizerin“ G.W., deren rätselhafte Identität erst unlängst enthüllt werden konnte. Es handelte sich um Gerti Wasner, ein Mädchen aus Norddeutschland, aus dem Städtchen Gleschendorf nordwestlich von Lübeck.