Überlegungen zu unerfreulichen Aussichten für den eigenen Körper haben Franz Kafka schon von Jugend auf begleitet. Seine Befürchtungen, nur unzulänglich für das Leben ausgestattet zu sein, wurden von Schlaflosigkeit, Kopfschmerzen, Schwächegefühlen und Abgespanntheit genährt.
Schutz davor suchte er bei den Naturheilkräften: Aufenthalt an frischer Luft auf Spaziergängen und Ausflügen, in Ferien- und Luftkurorten, bei vegetarischer Ernährung, Gymnastik nach bewährten Methoden, Abhärtung und Sport (Schwimmen, Rudern, Tennis). Das bestärkte zugleich seine Abneigung gegenüber der Schulmedizin und ihren Medikamenten. Allerdings hielt Kafkas zarte Konstitution auf Dauer die Belastung der eigenen Lebensweise nicht aus, bei der seine körperliche und seelische Gesundheit insbesondere durch die Unvereinbarkeit von Beruf und Berufung, von Amt und Schreiben Schaden nahm. Die hypochondrischen Befürchtungen verdichteten sich mit der Zeit zu einer ernsthaften Krankheit, gefördert von den Krisenzuständen seines Ringens um die Ehe und den angespannten Beziehungen im liebevoll erdrückenden Familienkreis. Im Herbst 1917 kam bei dem Vierunddreißigjährigen das Leiden voll zum Ausbruch und sollte für die verbleibenden sieben Jahre zum Mittelpunkt seines Lebens werden. Kafka sah seine Krankheit nicht lediglich in ihrer psychophysischen Gestalt; für ihn war sie eine gegebene Unausweichlichkeit, der Kulminationspunkt des bisherigen Lebenskampfes mit den „Unmöglichkeiten“, die er unter Aufbietung aller Kräfte zu überwinden suchte. Die Krankheit setzte seinen verzweifelten Versuchen, eine Ehe zu schließen, ein Ende, löste den Dualismus zwischen Amt und Schreiben, zwang ihn, die Genesung zu suchen, an die er selbst nicht glaubte. Die über Jahre hinweg durchdachte und in zahllosen tiefen, seherischen Texten beschriebene Krankheit ging bei ihm aus dem Leben ins Werk als dessen unglaublich wahrer, integrierender Bestandteil über.