1891 – 1944
Kafkas zweite Verlobte, die er während ihres sechswöchigen Aufenthalts in der Pension Stüdl in Schelesen/Želízy Anfang 1919 kennengelernt hat. Ihr Vater, ein jüdischer Gewerbetreibender vom Land, war drei Jahre vor Julies Geburt nach Prag gezogen. Die Familie lebte seit Julies sechstem Lebensjahr in den Königlichen Weinbergen, wo der Vater eine Stelle als Synagogendiener und -hausmeister (Schames) bekleidete. Julie hatte die Handelsschule besucht und es zur Prokuristin gebracht. Den acht Jahre älteren Kafka hat sie mit 28 kennengelernt. Sie war schon vorher einmal verlobt, doch ist ihr Verlobter im Krieg gefallen. Kafka charakterisierte sie als ein fröhliches unbekümmertes Mädchen, mit dem er Augenblicke ausgelassenen Gelächters erlebt hat. Ansonsten war sein Urteil nicht sonderlich schmeichelhaft. Bekannt ist, dass sie Vergnügungen, Kino, Theater, Operette liebte und über einen deftigen, mit jiddischen Ausdrücken gespickten Wortschatz verfügte. Sie stand dem Zionismus nicht fern; ihre jüngere Schwester Käthe (sie hatte eine jüngere und eine ältere Schwester sowie einen Bruder) war im Zionistenbund Blau-Weiss aktiv. Kafka und Julie sind sich erst nach der Rückkehr nach Prag nähergekommen. Kafka drängte schon bald auf Heirat. Seine Absicht stieß aber auf den Widerspruch seines Vaters Hermann Kafka, der diese ungleiche Ehe aus gesellschaftlichem Dünkel ablehnte. Im kritischen Augenblick, als bereits eine Wohnung im Prager Viertel Vršovice vorbereitet und das Hochzeitsdatum festgelegt war, hat Kafka vor Jahresende 1919 seinen Entschluß umgestoßen. Damals schrieb er an Julies verheiratete Schwester Käthe Nettel einen „Advokatenbrief“, der am gleichen Ort (Schelesen) und zur gleichen Zeit wie der Brief an den Vater verfasst ist. Darin rekapituliert er den Verlauf der Bekanntschaft mit Julie und auch die Gründe, die ihn vor der Heirat zurückschrecken ließen. Als eine mögliche Lösung sah er die Fortführung der Bekanntschaft ohne Eheschließung vor. Und so hielt Julies Qual mit Kafka noch im Jahr 1920 an. Kafkas neue Beziehung zu Milena Jesenská führte dann das Ende herbei. Julie Wohryzek hat 1921 Josef Werner, den Direktor einer Bankfiliale geheiratet. Ihr Leben nahm aber einen anderen Verlauf, als in der bisherigen Literatur geschildert ist. Sie hat den II. Weltkrieg noch erlebt, wurde 1943 von den Nazis interniert und anschließend nach Auschwitz deportiert, wo sie im Herbst 1944 ums Leben kam.