Die am längsten anhaltende und komplizierteste Liebe Franz Kafkas, seine erste Verlobte. In den Jahren 1912-1917 schrieb ihr Kafka an die 600 Briefe und Ansichtskarten, die Höhen und Tiefen ihrer Beziehung nachvollziehen. Es war eine „Liebe in Briefen“, persönliche Begegnungen waren relativ selten.
Felice Bauer stammte aus Oberschlesien, wo ihre Mutter geboren war. Der Vater, von Beruf Versicherungsvertreter, war ein gebürtiger Wiener. Sie hatte vier Geschwister, drei Schwestern und einen Bruder; Schwester Elly und Bruder Ferry kommen auch in Kafkas Briefen vor. Die Familie zog 1899 nach Berlin, doch haben sich die Elter bald danach scheiden lassen; der Vater ist 1914 gestorben. Felice arbeitete kurze Zeit als Büroangestellte beim Schallplattenhersteller Odeon. Im Jahr 1909 wechselte sie die Stelle und ging zur Firma Carl Lindström, die Diktaphone und Parlographen herstellte, und machte dort binnen kurzem Karriere: Sie wurde Prokuristin. Die Firma hatte auch in Prag eine Zweigstelle.
Felice war eine sehr tüchtige, praktische, ordentliche, seelisch nicht besonders komplizierte Frau mit einem mittelständischen Geschmack, ohne sonderlichen Sinn für Kunst und Literatur. Ihre Wesenszüge weckten bei Kafka zum einen Bewunderung, erschwerten zum anderen im Lauf der Zeit ihre Beziehung. In Kafkas kompliziertem innerem Ringen um die Ehe war sie kein ebenbürtiger Partner; oft blieb ihr dessen innerer Kampf einfach unbegreiflich. Der herannahende Entscheidungszwang steigerte in ihm diesen Streit der widersprüchlichen und sich gegenseitig negierenden Kräfte. Sehnsucht nach Gesellschaft und der Bedarf nach Alleinsein, der Heiratswunsch bei gleichzeitiger Abneigung gegen Zusammenleben und körperliche Nähe, der Wunsch, eine Familie zu gründen und die Unentbehrlichkeit einer „klösterlichen“ Lebensweise, die Notwendigkeit der Berufsausübung und das elementare Bedürfnis zu schreiben, schufen einen geschlossenen Kreis, aus dem es für ihn kein Entrinnen gab. Dieser aufreibende Mechanismus setzte in allen Krisensituationen seines Lebens ein.
Mitten im Weltkrieg fand Felice ihren Weg zum Zionismus. In ihrer Freizeit stellte sie ihre Fähigkeiten als „Helferin“ in den Dienst des Jüdischen Volksheims, des Berliner Zentrums für Sozial- und Bildungshilfe für die jüdische Bevölkerung aus dem Osten, die in jener Zeit hauptsächlich Flüchtlingskindern galt, die mit ihren Eltern vor dem russischen Vormarsch geflohen waren. Sie wirkte dort als Lehrerin, und Kafka hat sie in dieser Tätigkeit bestärkt.
Ihre Beziehung gipfelte nach hartnäckigem Ringen in zwei Verlobungen (1914, 1917), die jedoch unmittelbar darauf wieder aufgelöst wurden. Ungefähr anderthalb Jahre nach der endgültigen Trennung von Kafka, zu der wohl auch dessen soeben ausgebrochene Krankheit beigetragen hatte, heiratete Felice den Berliner Geschäftsmann Marasse. Sie hatte mit ihm zwei Kinder und lebte zunächst in Berlin, dann fünf Jahre in der Schweiz und ab 1936 in den Vereinigten Staaten. Fünf Jahre vor ihrem Tod stellte Felice Kafkas Briefe an sie sowie an ihre Freundin Grete Bloch dem New Yorker Verlag Schocken zur Verfügung. Deren Herausgabe in den sechziger Jahren wurde zum literarischen Ereignis, ähnlich wie in den fünfziger Jahren die Herausgabe von Kafkas Briefen an Milena Jesenská.