Die letzte Frau in Kafkas Leben, eine aus Brzezan gebürtige polnische Jüdin, zwanzig Jahre jünger als Kafka, nach Deutschland ausgewandert, um unerquicklichen Familienverhältnissen zu entkommen. Die Angaben über ihre Geburt gehen auseinander. Als Kafka ihr im Juli 1923 in Müritz an der Ostsee/Mecklenburg das erste Mal begegnete, war sie 19. Sie arbeitete dort in der Küche einer Ferienkolonie des Berliner Jüdischen Volksheims, in dem Berliner Helfer Judenkinder aus dem Osten betreuten. Für diese Tätigkeit, zu der er vor Jahren schon seine erste Verlobte Felice Bauer angehalten hatte, interessierte sich Kafka sehr. Schnell machte er Doras Bekanntschaft und sie beschlossen, gemeinsam in Berlin zu leben.
Berlin war für Kafka die Stadt seiner Träume und „Zwischenstation“ nach Palästina, wohin es ihn in seinen Vorstellungen und Träumen zog. Mit Dora erlebte er um die Jahreswende 1923/1924 ein Inflationshalbjahr in entsetzlicher materieller Not. Dreimal mussten sie sich eine neue Wohnung suchen, ihre Lebensmöglichkeiten waren auf ein Minimum beschränkt. In den schlimmsten Zeiten leuchteten sie mit einer Petroleumlampe, da sie kein Geld für die Stromrechnung hatten; Essen, das ihnen hauptsächlich Franz‘ Eltern aus Prag schickten, wärmten sie sich über Kerzenstummeln auf. Anfang 1924 verschlechterte sich Kafkas Gesundheitszustand jäh, beim Besuch des Onkels und Arztes Siegfried Löwy ließ sich Kafka von der Notwendigkeit einer internen Behandlung überzeugen und reiste in der Begleitung von Max Brod vorübergehend nach Prag, während Dora in Berlin zurückblieb. Sie kam dann nach Österreich hinterher, wo sie ihn gemeinsam mit Robert Klopstock drei Monate bis zu seinem Ableben umsorgte. Zunächst kam Kafka ins Sanatorium Wiener Wald, dann in die Laryngologie-Klinik von Professor Hajek nach Wien und schließlich ins Sanatorium von Dr. Hoffmann nach Kierling. Noch angesichts des Todes bat Kafka Doras Vater in Polen um die Hand seiner Tochter, doch lehnte Doras Vater auf Anraten des örtlichen Rabbiners dies ab. Dora stand Kafka bis zum letzten Augenblick zur Seite, erledigte alles Notwendige, war ständig in seiner Nähe, korrespondierte in ihrem holperigen Deutsch mit der Familie, meist in Form von Zusätzen unter Kafkas Briefen. Ihr Postscriptum ist auch auf Kafkas letztem Brief kurz vor seinem Tod zu lesen, als ihn mitten im Satz die Kräfte verließen.
Dora hat Kafkas Andenken weitere dreißig Lebensjahre bewahrt. Sie lebte unter dürftigen Verhältnissen in London (Whitechapel) und widmete sich der Verbreitung und Erhaltung von chassidischer Kultur sowie jiddischer Sprache. Sie organisierte Geselligkeiten, Vorträge, Theatervorstellungen und Rezitationsabende, bei denen sie selbst spielte, rezitierte und sang. Öffentlich hat sie, abgesehen von einer einzigen Ausnahme, nie von Kafka gesprochen und auch nichts publiziert, jedoch eine Vielzahl schriftlicher Aufzeichnungen hinterlassen.