Eltern

Kafkas Eltern stammten beide vom böhmischen Land und waren eigentlich Nachzügler einer gewaltigen Migrationswelle der Dorfjuden in die Hauptstadt, von der diese nach Aufhebung verschiedenster drastischer Beschränkungen mehr Sicherheit und größere Existenzchancen erhofften. Die aus Südböhmen stammenden Kafkas waren bis auf Ausnahmen eine Sippe von beträchtlicher Vitalität, robust, unternehmenslustig und aufstiegsorientiert.

Die aus dem östlichen Mittelböhmen kommenden Löwys zeichneten sich – ebenfalls von Ausnahmen abgesehen – durch maßvolle Besonnenheit, Empfindsamkeit und Nachdenklichkeit aus. All diese Eigenschaften sind bei den Mitgliedern der beiderseits recht zahlenstarken Sippen im Lauf der Jahre zum Tragen gekommen. Unter ihnen findet man tüchtige Unternehmer und unpraktische, introvertierte Typen, Gelehrte und Abenteurer, Weltmänner und Wunderlinge. Franz Kafka fühlte sich stärker dem mütterliche Erbe der Löwys verbunden. Anders als sein Vater, dem sehr am Zusammenhalt der Sippe lag, war Franz in Beziehung auf die weitere Familie wählerisch. Einigen Verwandten, insbesondere mütterlicherseits (den Onkeln Siegfried und Alfred) fühlte er sich herzlich zugetan, andere fanden in seinen autobiographischen Texten überhaupt keine Erwähnung.

Vater

Hermann Kafka stammte aus Osek bei Písek, war Sohn des ritualen Fleischers (Schächters) Jakob Kafka und dessen Frau Franziska Kafka, geb. Platowski und das vierte von sechs Geschwistern, vier Söhnen und zwei Töchtern, in der Reihenfolge Filip, Anna, Heinrich, Hermann, Julie, Ludwig.
© Památník národního písemnictví
Hermann Kafka, ursprünglich mittelloser Hausierer aus einem südböhmischen Dorf, konnte nach der Umsiedlung nach Prag in den frühen 80. Jahren des 19. Jahrhunderts einen stetigen sozialen Aufstieg verzeichnen: Er ehelichte Julie, geb. Löwy, Tochter einer wohlhabenden Textilhändler- und Brauereibesitzerfamilie, gründete in der Prager Innenstadt ein Galanteriewarengeschäft, das er unablässig zu erweitern wusste, besaß schließlich eine Großhandlung im Kinský-Palais am Altstädter Ring, um gegen Lebensende Besitzer eines Mietshauses in der Bílek-Gasse in der Altstadt zu werden.
Hermann Kafka war ganz in der Tradition seiner Familie ein kräftiger, tüchtiger, zäher, unternehmungslustiger, ehrgeiziger und willensstarker Mann, der lebenslang auf Aufstieg und Erfolg aus war, dabei herrisch, jähzornig und mit harter Hand seine Familie sowie die unter seinem Einfluss stehende Umgebung regierte.
Zwischen Vater und Sohn herrschte infolge ihrer unterschiedlichen Charaktere und Anschauungen über Leben, Familie, Ehe, Beruf und zwischenmenschliche Beziehungen lebenslange Spannung. Es handelte sich dabei um eine hochkomplizierte Beziehung, in die sich seitens des Sohnes Liebe und Bewunderung, aber auch an Hass grenzender Widerwillen mischten. Die Hauptrolle spielte aber allem Anschein nach die Verständnislosigkeit väterlicherseits.
Der Vater war für Franz Kafka der souveräne Herrscher über Familie und Schicksale der Personen darin und darum. Konflikte mit dem Vater begleiteten alle Schlüsselmomente in Franz‘ Leben: Erziehung, Berufswahl, Verhältnis zur Verwandtschaft, Beziehungen zu Frauen. Bei seiner zwiespältigen Beziehung zu seinem Vater brachte Franz Kafka für diesen mehr Verständnis auf als umgekehrt. Aus diesem Grund fand er sich weitgehend mit dessen Auftritten, Vorwürfen, Vorbehalten und Verboten ab, auch wenn er sie nur schwer ertrug; daher litt er auch unter des Vaters geschäftlichen Sorgen und Krankheiten.

Mutter

Julie Kafka, Franz Kafkas Mutter, entstammte einer begüterten Textilhändler- und Brauereibesitzerfamilie aus der mittelböhmischen Stadt Poděbrady. Sie war das zweite Kind aus der ersten Ehe von Jakob Löwy mit Esther geb. Porias und hatte drei Brüder, Alfred, Richard und Josef sowie zwei Stiefbrüder, Rudolf und Siegfried, aus des Vaters zweiten Ehe mit Julie, geb. Heller.
© Památník národního písemnictví
Hermann Kafka, der nach seiner Übersiedlung nach Prag im ärmlichen Viertel des ehemaligen jüdischen Ghettos wohnte, führte im September 1882 seine Braut aus dem pompösen Eckhaus Zum Einhorn auf dem Altstädter Ring heim, in dem zuvor Bedřich Smetana seine Musikanstalt hatte. Die Hochzeit wurde im Hotel Goldhammer auf der gegenüberliegenden Seite des Altstädter Rings gefeiert, wo Hermann auch für kurze Zeit seinen ersten Laden betrieb. Die beträchtlich besser situierte Familie von Julie Kafka-Löwy gehörte ebenfalls zur Schicht der sich ans Deutschtum assimilierenden böhmischen Juden, die nach Aufhebung der die jüdische Bevölkerung des Landes einengenden Verbote und Einschränkungen vom Land in die Großstädte abwanderten, wo sie sich sicherer fühlten.
Franz Kafkas Mutter lebte als „liebende Sklavin“ ihr ganzes Leben im Schatten ihres Gatten, war tagsüber seine rechte Hand im Geschäft und an den Abenden seine unentbehrliche Gesellschafterin beim Kartenspiel.
In Konfliktsituationen zwischen Vater und Kindern, insbesondere mit Franz und Ottla, suchte sie nach Kräften die Zornausbrüche des Vaters zu mildern. Am Ende unterlag die liebende Mutter jedoch fast immer dem unbeugsamen Willen des Familienoberhaupts. Franz nahm ihre mütterliche Sorge und liebevolle Pflege dankbar an, verstand die Schwierigkeit ihrer Stellung sowie ihr Unvermögen, seine Sorgen nachzuvollziehen.